Paris-Brest-Paris eine selbstgewählte Aufgabe

Den Radklassiker Paris-Brest-Paris haben Regina und Patrick Kaurisch in weniger als vier Tagen bewältigt. 1220 Kilometer mit dem nötigsten Schlafpensum legte das Schwalheimer Ehepaar in 87 Stunden zurück.

Zum 20. Mal fand die Randonneur-Veranstaltung Paris-Brest-Paris statt. Dabei mussten 1220 Kilometer in einem bestimmten Zeitrahmen mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Mit dabei waren die beiden Wetterauer Triathleten Regina und Patrick Kaurisch, die bereits im vergangenen Jahr mit der Teilnahme an 400 und 600-Kilometer-Brevets in die Vorbereitung auf dieses Ereignis eingestiegen waren. Für Regina Kaurisch war es die Premiere über so eine lange Distanz, Patrick Kaurisch war bereits das zweite Mal am Start und profitierte von seiner Erfahrung aus 2019.

Die Meldung war für einen frei wählbaren Zeitrahmen möglich, den man aber einhalten musste. Das Schwalheimer Ehepaar entschied sich für ein Zeitkontingent von 90 Stunden. Es wären auch 80, 84 Stunden oder noch schneller möglich gewesen. „Sinnvoller ist es allerdings, sich mehr Spiel zu geben“, räumt Patrick Kaurisch ein.

Start am Sonntagabend um 19.45 Uhr

Start für die Gruppe P war am Sonntagabend, 20. August um 19.45 Uhr in Rambouillet.  Auf kleinen Straßen mit sehr rücksichtsvollen Autofahrern und LKWs ging es im Tross der 8000 Teilnehmer mit der nötigen Beleuchtung zunächst gut voran gen Westen.  Die erste „Wasserstelle“ war bei Kilometer 120 erreicht, die erste Kontrolle mit Verpflegungsmöglichkeit bei Kilometer 203. Beide hatten auf ihrem umfangreichen Packzettel natürlich ein paar Kohlenhydrate als Reserve für die Nacht im Gepäck. Das Gefährt eines Radwanderers, auf französisch Randonneur, zeichnet sich durch die maximal mögliche Anzahl von Taschen aus. Hinter dem Sattel thront ein mächtiger Seatpack, am Oberrohr oben und unten steckt jeweils ein Täschchen und vorne am Lenker eine sogenannte Rolle. Der Packzettel der Kaurischs umfasste knapp 40 Gegenstände, die für so eine Extremtour zwingend erforderlich sind: Ersatzmantel und -Schläuche, Multitool, Stirnlampe für Defekte am Rad während der Nacht, Powerbank, Besteck oder aber medizinische Produkte mussten mit dem Rad transportiert werden. Dies bedeutete auch, dass man ein ordentliches Gewicht fortbewegen musste. Mit den notwendigen zwei Wasserflaschen wiegt so ein Rad gut 15 bis 18 Kilo.

Nach der zweiten gefahrenen Nacht mit bis dahin insgesamt vier Stunden Schlaf wurde es nach der Wende im bretonischen Brest langsam zäh. 604 Kilometer steckten in den Beinen, langsam taten der Nacken und der Hintern weh. Zudem traf die französische Hitzewelle voll auf das Radsport-Ereignis. Tagsüber bei wenig Wald und Schatten kochte der Asphalt förmlich bei 35 Grad Außentemperatur. „Nur nachts zu fahren war aufgrund des für uns knappen Zeitpolsters keine Option“, sagt Patrick Kaurisch. „In der dritten Nacht haben wir zwei halbstündige Schlafpausen am Wegesrand gemacht, was bei Temperaturen von 15-17 °C in der Nacht auch ohne unsere Biwaksäcke kein Problem darstellte.“

Randonneure nutzen jede Schlafgelegenheit

In der vierten Nacht, das Ziel und das Zeitlimit vor Augen, sei man fast durchgefahren. Um vier Uhr nachts ein kurzes Nickerchen, auf Stühlen sitzend in einem Café.  Immer mehr müde Radwanderer säumten die Strecke: „Die Teilnehmer sind so fertig, dass sich zum Ausruhen da hinlegen, wo es passt und sie tatsächlich geradezu umfallen“, berichtet Kaurisch. „Im Graben mit dem Kopf fast auf der Fahrbahn, in den Städten, vor den Häusern und besonders beliebt in den Vorräumen der Geldautomaten.“ Nicht selten geraten übermüdete Randonneure auf die Gegenfahrbahn, werden gerade noch von Mitstreitern aus dem Sekundenschlaf gerissen. „Darum ist der Koffeinkonsum neben den kurzen Powernaps extrem wichtig“, sagt der 2. Vorsitzende des Vereins Triathlon Wetterau. Literweise Kaffee, Cola und auch mal Red Bull habe man in sich reingeschüttet.  Auch das permanente Zuführen von Kalorien in jeglicher Form ist essentiell, ca. 35.000-37.000 Kalorien werden auf der gesamten Tour mit über 12000 Höhenmetern verbraucht. Omelette oder Nudelgerichte gehörten in den kurzen Pausen zu den favorisierten Gerichten.

„Die Helfer und die vielen Franzosen an der Strecke waren wieder unglaublich liebenswert. So viele Menschen, ob jung oder alt, die die Strecke Tag und Nacht säumten und den Randonneuren mit Begeisterung zujubelten und abseits der Kontrollpunkte Getränke und Kleinigkeiten zum Essen oder auch Schlafgelegenheiten anboten“, blickt Kaurisch zurück. Am Wichtigsten sei immer der Kontrollstempel gewesen, dann Essen und Trinken, Toilette, ggf. duschen, schlafen.

Paris-Brest-Paris übersteht nicht der am besten, der am schnellsten Radfahren kann

Nach respektablen 87 Stunden und 21 Minuten erreichte das Ehepaar am Donnerstagvormittag schließlich das Ziel in Rambouillet. Nach Tagen in der Hitze weinte nicht nur der Himmel im Ziel. „Für mich ist Paris-Brest-Paris kein Rennen, sondern eine selbst gewählte Aufgabe“, reflektiert Kaurisch. „Das primäre Ziel ist die Strecke zu bewältigen – wenn möglich im Zeitlimit – und sich und seinen Körper zu erfahren. Die Strapazen übersteht nicht der am besten, der am schnellsten Radfahren kann, sondern der, der mit dem gesamten Paket aus Strecke, Wind, Temperatur, Schlafmangel, Essen, Trinken, Kopf und Körper am besten zu Recht kommt!“

Vorausgesetzt die Gesundheit spielt mit, möchten beide 2027 gerne zur 21. Auflage wieder am Start stehen und das am liebsten mit bis dahin neu dazu gewonnenen Interessierten aus dem privaten Umfeld.

Hintergrundfakten

Paris – Brest – Paris (PBP) gilt als eine der ältesten Radsportveranstaltungen überhaupt. Bereits wenige Jahre nach Entwicklung des Fahrrades sollte mit der ersten Ausführung im Jahre 1891 dessen Leistungsfähigkeit auf einer ca. 1.200 Kilometer langen Strecke von Paris bis zum Wendepunkt in Brest und zurück nach Paris demonstriert werden. Der Gewinner dieses ersten Rennens, der Franzose Charles Terront, bewältigte die Strecke bereits in unglaublichen 71 Stunden und 22 Minuten ohne Schlafpausen. Die langsamsten der über 200 Teilnehmer in diesem Rennen benötigten allerdings bis zu zehn Tage.

Der Beweis für die Leistungsfähigkeit dieses Gefährts war damit mehr als erbracht und bis heute hat sich an der Geometrie des sogenannten Diamant-Rahmens, der eine Trapez-Form hat, nichts Grundlegendes mehr geändert. Aus einem Radrennen für Profis wurde ab ca. 1956 nach und nach eine Veranstaltung der Randonneure – der ambitionierten Radwanderer. Es kann jeder der 18 Jahre alt ist teilnehmen und der sein Rad mit Kettenantrieb und eigener Kraft antreibt, egal ob das Gefährt edel, alt, modern oder schräg aussieht, ob Renn-, Touren-, Klapprad, Fatbike, Tandem-, Tridem, Dreirad, Liegerad, etc. Allerdings muss sich jeder, über eine im selben Jahr zu absolvierende Randonneur-Brevetserie (200, 300, 400 und 600 km) qualifizieren, bevor er sich verbindlich anmelden kann.

200 Euro hat das Startgeld dieses Jahr betragen, darin ist allerdings keine Verpflegung enthalten. Die nächste Auflage soll 2027 stattfinden.